Interview: Mehr Mut, weniger Romantik

Interview mit Niels Lehmann, Geschäftsführer DXMA, für die Schweizer Personalvorsorge, «Aufbruch im Immobiliensektor» (11/2021)

30.11.2021

Originaltext:

Mehr Mut, weniger Romantik
Neue Ideen können rentieren, wenn sie konsequent durchgezogen werden: ein Gespräch mit Niels Lehmann über die Entwicklungen im Schweizer Immobilienmarkt, die Vorsicht institutioneller Anleger und darüber, wo die Grenze zwischen Mut und Naivität liegt.

Sie wurden mir von unserer Fachgruppe Immobilien als «junger Wilder» für dieses Gespräch empfohlen – können Sie sich diesen Ruf erklären?
Ich war an einer Reihe von Projekten beteiligt, die etwas Spezielles gemacht, etwas Neues gedacht und manchmal Logiken umgekehrt haben, mutiger waren. Und die funktionierten. Gute, verrückte Ideen kann man viele entwickeln – der schwierige Teil ist es dann, diese durchzubringen. Bei Immobilien geht es um sehr viel Geld und zahlreiche Leute sind am gesamten Prozess von der Idee über den Investitionsentscheid bis zur Realisierung beteiligt – da muss man relativ hart seine Linie durchziehen können.

Für welche Beteiligten braucht es am meisten Überzeugungsarbeit?Die Rolle der Bauherrschaft wird oft unterschätzt. Es wird häufig über die Kreativität der Architekten gesprochen. Aber den grössten Schmerz, wenn etwas nicht funktioniert, haben am Ende die Bauherren. Da geht man daher häufig auf Nummer sicher.

Sind die institutionellen Investoren im Immobilienmarkt über die letzten Jahre mutiger geworden?
Die mutigsten – man könnte auch sagen naivsten – Bauherren sind oft Private. Sie finanzieren die Immobilie mit ihrem eigenen Geld, identifizieren sich viel stärker mit ihr und halten sie auch länger selber. Sobald man in den institutionellen Bereich geht, hat man es mit Angestellten zu tun. Es erfordert Mut, der finanziellen Mehrwert einer guten Idee zu realisieren. Sie riskieren auch ein Scheitern. Während sie am Mehrwert nicht persönlich beteiligt sind, werden Schäden und Misserfolge oft Einzelpersonen angeheftet. Daher ist es verständlich, wenn je nach Konstellation der Mut etwas abnimmt.

Wie generell im Pensionskassenbereich sprechen die Anreize für Vorsicht, nicht für Mut.
Es ist die Aufgabe der Baubranche, von Architekten, Planern, Bauunternehmern und Beratern, diese Sorgen und Sichtweise zu verstehen. Im Fall der Pensionskassen wird das Geld anderer Leute ausgegeben. Da ist es richtig, vorsichtig zu handeln. Die Branche muss hier stärker mit Zahlen sprechen. Die Umsetzung kreativer Ideen oder die Bedienung von Nischen können finanziell tatsächlich sehr interessant sein.

Wo ist die Grenze zwischen mutig und naiv?
Mutig ist es, unbekanntes Terrain zu betreten oder etwas Neues zu versuchen. Es gibt enorm viele gute Köpfe in der Branche, die die Fallstricke kennen und wissen, wo Probleme auftreten und Risiken liegen. Wenn man diesen Weg mit entsprechendem Wissen geht, ist das mutig. Wenn man Entscheide fällt, ohne zu wissen, auf was man sich einlässt, so könnte man das naiv nennen.

Aktuell ist es sehr schwierig, in der Schweiz Bestandesimmobilien zu Renditen zu kaufen, die für Pensionskassen Sinn ergeben. Hilft diese Marktsituation, um Investoren für Projekte zu finden?
Ja. Immer mehr institutionelle Investoren beschäftigen sich mit Projektentwicklungen. Einige machen dies schon seit Langem und haben sehr häufig auch den Entwicklungsgewinn bei Immobilien eingefahren. Da lernt man in der Branche voneinander. Man versteht auch, wo alle Beteiligten in der Branche ihren Mehrwert, ihre Rendite generieren, speziell auch die Bauunternehmer.

Was hilft dieses Wissen?
Wenn man versteht, wo die Renditen anfallen, kann man als Bauherr auch überlegen, ob man das Knowhow nicht selber haben und den Mehrwert selber abschöpfen könnte. Pensionskassen kommen aus einer Welt konservativen Anlagedenkens, in denen Obligationen eine zentrale Rolle spielten. Die Hauptrenditetreiber von früher liefern nicht mehr. Entsprechend muss man sich nach neuen Möglichkeiten umsehen, auch innerhalb des Immobiliensegments.

Sehen Sie diese Analyse der gesamten Wertschöpfungskette auf Pensionskassenseite?
Es gibt einige ganz Grosse, die sich eigene Immobilienabteilungen leisten können und sehr professionell sind. Ich denke hier insbesondere an Sammelstiftungen und Anlagestiftungen. Die mittleren und kleinen Pensionskassen stehen vor einem Problem. Die Immobilien werden im Portfolio immer wichtiger und der Immobilienmarkt selber ist im Wandel. Die Entscheidungsträger innerhalb der Gremien müssen mehr von Immobilien verstehen, das ändert sich. Für kleinere Pensionskassen ist es schwierig, sich richtig zu positionieren. Meistens macht es keinen Sinn, ein internes Team aufzubauen. Aber je mehr man extern vergibt, desto mehr muss man doch wieder von allem verstehen, weil man die Dienstleister kontrollieren und deren Aussagen challengen muss.

Ohne Professionalisierung geht es also nicht.
Immobilien sind in der Wahrnehmung von vielen etwas Beständiges, wo man sich vielleicht auch mal ein bisschen hemdsärmlig um eine Sanierung oder so kümmern muss. Ich glaube, diese Wahrnehmung ändert sich tatsächlich sehr stark. Immobilien werden zunehmend auch als Zahlenwerk angeschaut. Das macht die Investition etwas weniger romantisch, aber professioneller und vergleichbarer. Dabei hilft auch die Digitalisierung: Es gibt viel mehr Marktdaten, viel mehr Vergleichspunkte um zu beurteilen, ob eine Performance gut ist oder nicht – und viel mehr Ansatzpunkte zur Optimierung.

Was für Möglichkeiten ermöglicht dieser neue, unromantischere Blick?
Eigentlich ist jede Immobilie oder jedes Portfolio ein eigener Businessplan. Man muss sich viel stärker mit dem Charakter, den Eigenschaften dieses Produkts beschäftigen, dass man für sich selber oder andere aufbaut. Da kommt die Kreativität durch Zahlen und Transparenz ins Spiel. Die Digitalisierung macht den Weg frei für unternehmerisches Denken. Was für Wohnwelten, was für ein Wohnprodukt möchte ich schaffen?

Sind die Investoren genügend kritisch bei Zukäufen oder Investitionen in Projekte? Oder drückt man ein oder beide Augen zu, solange man irgendwie investieren kann?
Man drückt alle Augen zu, solange man formell, auf dem Blatt Papier die Anlagekriterien erfüllt. Aber man muss sich zuweilen schon fragen, ob man statt in Immobilien mit einer Rendite im Bereich von 1.5 oder 2% nicht lieber in andere Anlagesegmente investieren sollte. Das Problem ist, dass man ausschliesslich die Differenz zu den Alternativen anschaut – und wenn Obligationen negativ rentieren, dann ist auch 1.5% für eine Immobilie in Relation attraktiv. Private Investoren denken da oft anders. Wer sich über Hypotheken finanzieren muss, wer vielleicht auch etwas opportunistischer unterwegs ist, der interessiert sich nicht für die 1.5%.

Früher gab es den oft genannten Zahnarzt in der Schweiz, der sich einen kleinen Wohnblock kaufen wollte und dafür jeden Preis bezahlte. Sind die Pensionskassen die Zahnärzte von heute?
Wenn ich mich fragen muss, wo investiere ich dieses Jahr zusätzlich eine Milliarde im Immobilienmarkt, stehe ich vor einer schwierigen Situation. Bei Bieterverfahren von Immobilien, die auf dem Markt sind und eine gewisse Grösse haben, bieten alle mit, was den Preis hoch und die Renditen in die Tiefe treibt. Man kann einen Kauf dann sehr gut mit dem Markt begründen und sagen, anders erhalten wir den Zuschlag nicht und können das Geld der Versicherten nicht investieren. Es lässt sich immer gut damit argumentieren, was die anderen machen. Niemand sagt dann, dass man etwas falsch macht – und vielleicht ist es ja auch nicht falsch. Man hat schon vor 10 Jahren gesagt, die Renditen in der Schweiz seien zu tief. Rückblickend hat man damals aber günstig gekauft.

Eine andere Möglichkeit, sich als Investor zu positionieren, ist das Ausweichen auf Nischen oder in Bereiche, in die man früher nicht investiert hat, beispielsweise in Logistik oder in Bauareale. Wurde dies früher nicht gemacht, weil es schlicht nicht attraktiv ist, oder erschliesst man sich hier in der Anlagenot einen interessanten Bereich?
Im Wohnbereich sinken die Renditen besonders stark, was in Relation dazu Nischenprodukte plötzlich interessanter macht. In den Nischen wurden eine Zeit lang deutliche Überrenditen erzielt. Die Differenz zu Wohnen und Büro nimmt jedoch ab, weil sich nun viel mehr Investoren für Hotels, Studentenwohnheime oder Lager- und Logistikimmobilien interessieren.

Höheren Renditen stehen immer auch höhere Risiken gegenüber.
Genau. Gerade in der Coronakrise manifestierten sich diese Risiken auch, beispielsweise bei Hotellerie und Gastgewerbe. Nicht vergessen darf man auch eine andere Relation: Die Nischen sind kleiner als der Wohnimmobilienmarkt. Für grosse Anleger sind die Nischen in der Schweiz entweder zu klein oder eignen sich höchstens als Beimischung.

Wie beurteilen Sie die Produkteflut, die in den letzten Jahren unter die Anleger gebracht wurde, sei es über Fonds oder neue Teilvermögen von Anlagestiftungen?
Es gibt darunter viele interessante und ein paar sehr abenteuerliche Produkte. Schwierig ist dabei immer die Wissensasymmetrie zwischen dem Anbieter und dem Investor. Letztlich liegt es am Investor, sehr genau hinzusehen, in was für Objekte er über diese Gefässe investiert. Wenn eine Pensionskasse eine Immobilie nicht kauft, weil sie ihr zu teuer ist, und dann indirekt in ein Produkt investiert, das genau diese Immobilie gekauft hat, ergibt dies keinen Sinn. Man kann den Investoren die Verantwortung nicht abnehmen. Sind Immobilien per se Betongold und können nicht an Wert verlieren? Das ist eine schlechte Annahme.

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